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Das Leben immer wieder neu entdecken: Alexandra über ihr Leben mit MS

Hallo zusammen, ich bin Alexandra und komme aus der Nähe von Münster. Ich mag es, neue Orte und Menschen kennenzulernen und das Leben immer wieder neu zu entdecken und zu erfahren. Es gibt aber noch einen anderen Teil von mir: Die Alexandra, die 2012 die Diagnose MS bekommen hat.

Das war erstmal ein großer Einschnitt für mich und ich brauchte damals viel Zeit für mich, um die Diagnose anzunehmen.

Die MS ist rückblickend ein prägender Moment gewesen und hat mich auf eine bestimmte Art und Weise zu der Person gemacht, die ich heute bin.

Wann hast du die Diagnose Multiple Sklerose erhalten und wie hast du die Diagnose damals aufgenommen?

Es fing damit an, dass ich Sehstörungen hatte. Ich war Anfang 20, in einer sehr extremen Feierphase und viel unterwegs. Als die Sehstörungen kamen, dachte ich zunächst, das kommt vom Feiern. Doch als ich irgendwann Doppelbilder und verschleiert gesehen habe, bin ich recht schnell in die Augenklinik gefahren. Dort wurde ich zum Neurologen überwiesen, der mir nach dem MRT sagte, dass es MS ist.

In dem Moment bin ich ziemlich kühl geblieben und hab mir gesagt, ich pack das schon, denn ich wollte mich und auch mein Umfeld, vor allem meine Mutter, schützen.  

Ich habe die Diagnose jahrelang verdrängt. Eigentlich ist es paradox, denn einerseits habe ich die Diagnose verdrängt, andererseits hatte ich ganz viele Schübe. Eigentlich konnte ich die MS gar nicht verdrängen, aber immer wenn ein Schub kam, habe ich so getan, als wäre das nichts.

Erst 2017, als ich einen starken Schub hatte, habe ich zum ersten Mal gedacht, dass ich mich selbst, mein Leben und auch meine MS reflektieren muss – genauer hinschauen muss.

Das war der Moment, wo sich so alles verändert hat: Dass ich mich mit der Diagnose beschäftigt habe, der Behandlung der MS, aber vor allem mit mir selber und mit meinem eigenen Körper.

Hat die Diagnose auf eine bestimmte Art dein Leben verändert?

Als ich angefangen habe, mich mit der Diagnose zu beschäftigen, habe ich gemerkt, dass ich etwas verändern möchte. Ich habe mir damals Hilfe geholt und war für knapp 10 Wochen in einer Klinik. Hier habe ich wichtige Lebensbereiche reflektiert und mir Ziele gesetzt. Ich habe überlegt, wie ich leben möchte, und bezogen auf den Bereich „Gesundheit“: Was kann ich selbst dazu beitragen?

Das war ein intensiver Prozess, der auch immer noch andauert und ich glaube auch nie enden wird, weil sich immer irgendwas im Außen verändern wird, was auch total schön ist.

Was hättest du dir damals gewünscht, als du die Diagnose erhalten hast?

Im Nachhinein hätte mir geholfen, wenn mir jemand gesagt hätte „Ich weiß, dass du nicht so cool bist, wie du gerade tust. Und du musst es auch nicht sein – nicht für dich und nicht für andere.“

Mir hätte geholfen, mich vor allem auf der emotionalen Ebene zu öffnen und ein bisschen sanfter zu mir selbst zu sein.

 

Welchen Rat würdest du jemandem geben, der neu mit Multiple Sklerose diagnostiziert wurde? 

Gib dir Zeit und schau, wie du am besten selbst gerade mit der Diagnose zurechtkommst. Wenn du Hilfe haben möchtest, dann hol dir Hilfe. Wenn du gerade einfach erstmal Zeit für dich brauchst, dann nimm dir die Zeit. Geh deinen eigenen Weg. Alles ist gut, es gibt keinen richtigen Weg. Schau was du brauchst.

Aber vor allem, lass alle Gefühle da sein, die du gerade hast: Wenn du sauer bist, dann sei sauer. Wenn du traurig bist, dann ist es total in Ordnung zu weinen. Denn, je mehr Emotionen da sind, desto mehr Druck baut sich ja in einem selbst auch auf.

Zu wissen, dass es eine medizinische Versorgung oder eine psychologische Anlaufstelle gibt, ist wichtig. Doch schau, dass du dir nicht am ersten Tag der Diagnose zu viele Informationen aneignest, denn das kann gar nicht verarbeitet werden. Es braucht einfach Zeit.

Für diejenigen, die schon länger mit der MS leben. Hast du ein paar Tipps, einen guten Umgang damit zu finden?

Hol dir Hilfe, wenn du Hilfe möchtest. Das Angebot ist da. Aber auch gleichzeitig, mach das, was dir gerade gut tut.

Kümmere dich um deine Bedürfnisse. Ob das ist, dass du Zeit mit dir selbst brauchst, vielleicht möchtest du dich mit einer Freundin oder Beratungsstelle austauschen, mit deinen Eltern oder vielleicht möchtest du erst einmal eine Woche an die See fahren.

Wenn eine Person zuvor noch keine schwere körperliche Erkrankung hatte oder zum ersten Mal mit einem Schub konfrontiert ist, dann kann es auch sehr schwierig sein, sich mit dem Körper in dem Moment zu beschäftigen. So war es bei mir. Mein Körper war für mich so wie mein Endgegner, weil er nicht funktioniert hat. Heute ist es so, wenn ich Symptome habe, dann schaue ich hin und frage mich, ob ich mich vielleicht zu wenig auf meine Bedürfnisse konzentriert habe.

Das ist auch das, was ich durch die Aufklärungsarbeit immer wieder mitgebe: Einen gesunden Umgang mit sich selbst zu finden.

Du beschäftigst dich auf deinem Blog viel mit dem Thema, was Glück bedeuten kann. Wie würdest du Glück für dich beschreiben?

Was ich glaube, ist, dass wir das Glück viel zu oft so aus den Augen verlieren. Dass wir, sobald etwas in unser Leben eintritt – ein Schicksalsschlag, wie zum Beispiel eine Diagnose – es schwierig ist, in dem Moment die positiven Dinge zu sehen oder auch das Glück zu sehen, was einen umgibt.

Doch wir haben alles in uns, um mit uns im Reinen zu sein und inneren Frieden zu finden. Für mich ist das Glück ein Zustand, in dem es uns gut geht, und in diesem Zustand befinden wir uns ja meistens.

Ich finde, dass sollten wir uns immer wieder bewusst machen, dafür gibt es auch viele tolle Achtsamkeitstechniken.

Welchen Umgang mit deiner Erkrankung wünscht Du dir von deinen Freunden und Familie? Und allgemein von der Gesellschaft?

Einen offenen und ehrlichen, aber auch einen empathischen, einfühlsamen Umgang – auf gar keinen Fall einen mitleidigen Umgang.

Ich würde mir wünschen, dass Personen mich fragen, wie sich Symptome anfühlen können, sei es Fragen von der Familie oder von Freunden. Wenn eine Freundin Liebeskummer hat, dann reden wir darüber, weil es sie beschäftigt. Genauso ist das bei der MS, die mich beschäftigt. Hier würde ich mir schon häufiger mehr Interesse wünschen.

Begegnest du manchmal dem Vorurteil, dass man dir deine Erkrankung nicht ansieht und deshalb das Verständnis auf der anderen Seite nicht da ist? Wenn ja, wie gehst du damit um?

Früher habe ich mich immer wieder gerechtfertigt und habe aktiv dagegen angeredet.

Doch ich habe häufiger gemerkt, dass das nichts bringt, und so lasse ich das mittlerweile stehen und denke mir, dass das dann einfach an der Person liegt und nicht an mir. Das einzige, was ich tun kann, ist, mich in dem Moment um mich zu kümmern und das nicht zu nah an mich heranzulassen.

Deshalb ist mir auch die ganze Aufklärungsarbeit so wichtig: Um die MS zu enttabuisieren und darüber zu informieren. Deshalb engagiere ich mich in verschiedenen Projekten und bin in den sozialen Medien aktiv.

Welche Punkte müssten deiner Meinung nach angegangen werden, um die Inklusion in Deutschland weiter voranzutreiben?

Tage wie den Welt MS Tag finde ich unglaublich wichtig, da zu diesem Zeitpunkt sehr viel Öffentlichkeitsarbeit stattfindet und in den sozialen Medien rund um die MS aufgeklärt wird.

Außerdem sehe ich noch großen Aufklärungsbedarf in der Arbeitswelt mit dem Ziel, dass es am Arbeitsplatz einen sensibleren Umgang mit chronischen Erkrankungen gibt. Ich würde am liebsten direkt mit anfangen, wenn es um das Thema Arbeitswelt geht, in die Aufklärungsarbeit zu starten.

Hast Du ein Lebensmotto, eine Vision oder ähnliches, das dich begleitet und motiviert?

Mein Lebensmotto oder besser gesagt mein Mantra ist: Ich tue genug, ich habe genug, ich bin genug. Damit kann ich mich auch immer wieder zurückholen.

Meine Vision ist, eine Familie zu gründen, für mindestens ein halbes Jahr mit dem Camper durch Europa zu reisen und weiterhin zu arbeiten – und einfach einen großen Unterschied auf der Welt zu machen. Ich möchte chronische Erkrankungen enttabuisieren und die Person da abzuholen, wo sie gerade steht, wenn sie erkrankt ist.

Wenn du deinem Ich zum Zeitpunkt der Diagnose einen Rat geben könntest, wie würde dieser lauten?

Du musst nicht stark sein. Schmerz, Wut, Trauer – das hört auf, es wird besser.

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